Sicht eines Betrachters


Wer Bilder liebt und sammelt, kennt die Situation, einmal irgendwo, vielleicht in der Ferne, von einem Bild beeindruckt, berührt, angesprochen zu werden - es aber nicht zu erwerben. Bilder sprechen häufig unmittelbar durch dekorative Qualität an, einmal vergessen, bleiben sie vergessen. Andere dieser nur einmal gesehenen Bilder, ich möchte diese als „meine verlorenen Bilder“ bezeichnen, haben von mir scheinbar Besitz ergriffen und erweisen sich auf unerklärliche Weise als unvergesslich. Bei nicht klar definierbaren Anlässen geraten sie mir wieder ins Bewusstsein und lösen wiederholt den sehnsuchtvollen Schmerz der verpassten Chance aus. - Für mich haben auch bestimmte Bilder von Marianne diese Qualität. Ich habe sie gesehen, sie haben mich erfreut, sie sind nun nicht mehr für mich erreichbar, ich habe sie aber nur vorübergehend vergessen. Warum sprechen manche Bilder dauerhaft? Es kann bei abstrakten Bildern wie die von Marianne Weißenhorn eher nicht das Motiv, die zeichnerische Ausführung sein. Mal sind die Farben, mitunter die starke Prächtigkeit von z. B. Rot- Grün- und Goldtönen und deren Kombination. Oder es ist der Duktus des Farbauftrags und die Maltechnik selbst, die mitunter, in scheinbar asketischer Beschränkung lediglich einen homogenen Hintergrund und den sparsamen Auftrag von Farbe zu zeigen scheint. Warum kann von nur einer Farbe eine Ansprache, ein Anruf oder eine Frage ausgehen? Ist es denn wirklich nur eine Farbe oder verhält es sich anders als das, was durch den Schleier der schwachen Aufmerksamkeit zunächst als nur ein Farbton wahrgenommen wird? Habe ich das Bild wirklich aufgenommen? Also erneut schauen, falls möglich... und Farbe, Farbschichten und Farbauftrag können sich als deutlich komplexer als erinnert erweisen. Ob dies zur Erklärung beiträgt warum ein Bild über die erste Wahrnehmung hinaus -oder gar erst deutlich verzögert- persönlich ansprechend oder anfragend bleibt?

(Prof. Koszinowski)